EUNJI SEO
SPACE | DIFFERENCE | REPETITION
01.04.2022 - 07.05.2022
Von Eunji Seos (*1984 Andong, Südkorea) Werken geht eine stille Ordnung aus, deren sanft flimmernder Anblick sich gleichmäßig, beinahe rhythmisch, durch den Raum zieht. Die Künstlerin siedelt ihre Bilder an der Grenze menschlicher Wahrnehmung an, sodass die Betrachtenden sich immer wieder zwischen Seh- und Leseprozess entscheiden müssen. Beim ersten flüchtigen Blick auf die monochromen Werke erscheinen sie als symmetrische Muster, von makelloser Geometrie. Auch, wenn sich zunächst Assoziationen mit organischen oder geometrischen Formen ergeben, treten mit geringerem Abstand zunehmend technische Details in den Vordergrund. Beim genaueren Hinsehen werden einzelne Graphitstriche und Auslassungen erkennbar, die auf einem zarten Raster aus hellgrauen Koordinationspunkten gezogen wurden. Je mehr Striche das Auge erfasst und damit automatisch miteinander vergleicht, umso offensichtlicher werden die feinen Unterschiede zwischen den von Hand gezeichneten Markierungen.
Repetitive Differenz
Eunji Seo konfrontiert die Gleichmäßigkeit ihrer perfektionistischen Formensprache mit den minimalen Unregelmäßigkeiten der individuellen Linie, dem Nukleus der Werkstruktur. Es ist ebendieser Fokus auf die Zusammensetzung der kleinsten Ebene, der sich in Werktiteln wie (6,10), +20 -20 oder 1, 10, 2 wieder findet. Dabei stehen die Ziffern für einzelne Strichlängen beziehungsweise Positionen oder für Abstände auf dem anfänglich leeren Raster. Aufgetragen werden Raster und Striche mit dem immer gleichen Druckbleistift, den die Künstlerin stets mit denselben Mienen befüllt. Für jede Konstellation würfelt Seo eine Ziffer manuell aus um sie als Determinante in ihr minutiös geplantes System einzuführen. Darin obliegen jede Addition, jede Reihung und Subtraktion strengen Regeln. Teil der Formel sind zwangsläufig auch die sich daraus ergebenden Auslassungen.
In allen Betrachtenden erfordert das Gesehene zwar ähnliche biologische Prozesse, wie das Erkennen der einzelnen Striche als ganze Bilder, doch die Einordnung des Gesehenen und seine Interpretation ist von Mensch zu Mensch verschieden. Diese repetitive Abweichung spiegelt sich auch in den schier unendlich wiederholten Strichfolgen wider, wenn die Linien (je nach Abstand) zwischen einheitlicher Gesamtform und unregelmäßiger Fraktur changieren. Nur die Wahl der Hintergrundtonalität, meist in vielen Schichten als Lasur aufgetragen, trifft Seo intuitiv. Auf diese Weise reichert sie ihr System mit dem unkalkulierbaren Wert menschlicher Erfahrung an. Die gewählten Farben beziehen sich dabei auf persönlichen Erinnerungen und Emotionen, die Seo mit jeder Schaffensperiode verbindet. Manche Farben sind dunkel oder kühl, andere geben sich leichter und wärmer –– es gibt solche und solche Zeiten im Leben. Unabhängig von Aberglauben und magischem Denken, nutzt Eunji Seo den befreienden Moment des Zufalls und lässt ihn mit ihrer stoischen Reglementierung konkurrieren. So entbindet die Künstlerin ihre Bilder auch von deren semiotischer Verpflichtung.
Raum und Malerische Handlung
Obwohl die Größe der Werke von einem grundsätzlichen Bedürfnis nach physischer Präsenz zeugt, drängen sich die Formate nicht im Geringsten auf. Leise und beständig forciert Eunji Seo ihre Leinwände aus deren zweidimensionaler Bestimmung und lässt sie einzelne Bilder über konkave Verformungen neuen architektonischen Spielraum erschließen. Am deutlichsten äußert sich die Wandflucht in der unübersehbaren Gruppe von drei zylindrisch aufgezogenen Leinwänden. „Drei ist eine stabile Zahl“ findet Seo, deren Abkehr von der figurativen Malerei bereits Mitte der 2010er Jahre begann und mit der Expansion auf die Bodenfläche nun den nächsten, größeren Schritt wagt.
Es ist nicht die Zweidimensionalität selbst, die Seo mit der Erweiterung des Bildraums verneint, sondern die mit ihr verbundene, einseitige Lese- und Seherfahrung der Werke. Anstelle einer Gegenüberstellung von Auge und Bild verlangt die Künstlerin den Betrachtenden einen Perspektivwechsel ab und lädt dazu ein, die Werke auch körperlich nachzuempfinden. Es ist Zeit für eine Interaktion im Raum. In ihrer eigenen Sprache lässt Eunji Seo ihre Bilder dafür sogar zu Körpern werden. Wer die Leinwandsäulen von allen Seiten erkundet merkt dabei schnell, dass ihre zylindrische Form nicht vollständig abgeschlossen ist. Wir haben es also nicht mit einem Bild zu tun das als Säule posiert, sondern mit einer raum-bewussten Malerei, die sich als solche zu erkennen gibt. Dem paragone winkt die Künstlerin an dieser Stelle lässig ab, vielmehr provoziert sie ein berechtigtes Spannungsverhältnis zwischen Form und Format.
Von der Formel, über die Verformung hin zum Format zeigt Eunji Seo in der malerischen Handlung wie sich die großen Fragen aus dem Kleinen hervortun können und balanciert dabei über die fließenden Übergänge menschlicher Wahrnehmung. Eunji Seos Vorgehen kann als Drahtseilakt zwischen Konformität und Individualität verstanden werden. Es ist der Versuch ein Gleichgewicht zu schaffen, in einem Zyklus ohne designierten Anfangs- und Endpunkt. So befinden wir uns mit der Künstlerin gemeinsam inmitten eines Prozesses der Gilles Deleuzes Prinzip von Wiederholung und Differenz formelhaft visualisiert.
Ausstellung
01. April 2022 - 07. Mai 2022
Türkenstr. 32, 80333 München