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MARTIN WERTHMANN
SHOCK WAVES

08.09.2023 - 20.10.2023

Martin Werthmann verdeutlicht in seinem Werk auf einzigartige Weise das komplexe Wechselspiel zwischen Schönheit und Gewalt, Chaos und Ordnung als zentrale Aspekte der menschlichen Existenz. Seine monumentalen Holzschnitte, Installationen und Skulpturen konzipiert er gezielt als Erlebnis- beziehungsweise Resonanzräume für zwei gegensätzliche Fundamentalerfahrungen: die simultane Empfindung von Bedrohung und Schönheit. 

 

Wer seinen zumeist großformatigen Werken gegenübersteht, wird, ob ihrer »Überwältigungsästhetik« und enormen Suggestivkraft, in das Bildereignis respektive den Bildraum hineingesogen. Die Betrachtenden finden sich in einem genuinen Kosmos aus komplexen Farbstrukturen, -feldern und -schichten wieder, der durch eine diaphane Struktur in seinem Innersten zusammengehalten wird. Dabei lässt das »Diaphane«, das Durchscheinende, Räume und Oberflächen verschmelzen, Grenzen verschwimmen und Texturen aufweichen: Raum wird durch Raum und Licht begrenzt. Diese transzendente Raumerfahrung ist charakteristisch für Werthmanns Werke und führt dazu, dass Bild- und Betrachterraum eine Synthese eingehen. Werthmann schafft präzise konstruierte »Räume ohne konkrete Inhalte«, die dem Betrachtenden ein Spektrum an Sinn stiftenden, sinnlichen Erfahrungen ermöglichen und so das eigene Menschsein vergegenwärtigen.

 

Die Grundlage seiner großformatigen, abstrakten Farbholzschnitte sind Pressefotografien von Anschlägen, Kriegen und anderen von Menschen verursachten Tragödien an Orten wie Beirut, Aleppo, Kobane, Narathiwat und Tianjin. Werthmann überträgt diese dokumentierten Gewaltakte auf Holzstöcke und druckt sie in Verbindung mit alltäglichen Motiven wie Landschaften oder Wasseroberflächen in mehreren Schichten auf Papier. Motivisch nahezu ausgelöscht, sind so im finalen Werk nur noch einzelne rudimentäre Strukturen und Elemente erkennbar, die zu einem räumlich geprägten Ereignis verschmelzen. Im Vordergrund steht für Werthmann dabei nicht der »klassische«, perspektivisch angelegte Raum, sondern der Raum als sensuelles Erlebnis, in dem das menschliche Dasein in all seinen Facetten zum Ausdruck kommt. 

 

In seiner neuen, erstmals in dieser Ausstellung gezeigten Serie Fractions, die inhaltlich und formal an seine umfangreiche Silence-Serie anknüpft, werden die Betrachtenden mit einem neuen Raumkonzept konfrontiert, das durch Diskontinuitäten in Form abrupt auftretender schwarzer Flächen, den titelgebenden Fraktionen (Fractions), gekennzeichnet ist. An diesen Stellen erscheint der Raum gebrochen, in die Fläche getrieben. Und was einst tief in ihm kaum wahrnehmbar verwoben war, zeichnet sich an diesen Stellen in unerwarteter Deutlichkeit ab. Architekturelemente treten neben dampfartigen Gebilden und Autoteilen aus der flimmernden Tiefe des Bildraumes hervor. Teils vage, teils unverkennbar verweisen sie auf die tieferen Schichten des Bildes, auf das Verborgene und Nichtoffensichtliche. 

 

Einen Kontrast dazu bilden die allansichtigen, monochromen Plastiken. Im Gegensatz zu den Holzschnitten gehen sich nicht auf fotografische Vorlagen zurück und weisen damit keine historischen Bezüge auf. Die mit Shock Waves betitelten Plastiken stellen stilisierte Explosionswolken dar, die durch ihre Transparenz den sie umgebenden Raum betonen und ebenfalls eine »Schmelze« von Bild- und Betrachterraum provozieren. Gegenüber der von Ambivalenzen geprägten, spannungsgeladenen Ästhetik der Holzschnitte wirken die Plastiken bemerkenswert kontemplativ, angesichts des tatsächlichen Naturells des Dargestellten. Werthmann lenkt über die abstrahierende Formensprache die Aufmerksamkeit auf die ästhetischen Kräfte, die neben den physischen bei einer Explosion wirken. Sie sind Teil der gesamten Wirkmacht dieser Katastrophen, die über die verheerende Wirkung vor Ort hinaus eine bildbasierte propagandistische und damit politische Wirkung entfalten. Dabei überspitzt der Künstler bewusst, begibt sich in eine Zone zwischen Schönheit und Grauen, in der die Grenzen zwischen Abscheu und Faszination – oder zwischen der Darstellung und dem Dargestellten – verschwimmen. Es ist der »Moment der Wahrheit in der Katastrophe« für den sich Werthmann interessiert, der Moment in den zwei unvereinbare Ordnungen und Ordnung auf Augenhöhe aufeinandertreffen und miteinander reagieren, um sich schließlich im tausendstel einer Sekunde schicksalshaft zu entladen. Im Zentrum steht somit eine verborgene Wahrheit, die der inneren Logik der Katastrophe und der damit einhergehenden Dialektik von Schönheit und Grauen entwächst. 

 

Martin Werthmann (geboren 1982, in Berlin tätig) zählt zu den profiliertesten Künstlern seiner Generation, die sich der Gattung des Holzdrucks verschrieben haben. Zwischen 2004 und 2009 war er an der Kunsthochschule Hamburg Schüler in der Klasse von Andreas Slominski. Er hat außerdem bei Wim Wenders, Fatih Akin und Daniel Richter studiert. Oberflächlich besehen, sind Werthmanns Arbeiten eine ästhetisch anspruchsvolle Serie von Mustern und Strukturen. Doch bei genauerer Betrachtung lassen die Bilder unterhalb der Oberfläche eine gewisse Spannung und feine Melancholie spüren. Die Motive und Muster seiner Drucke entstehen ausgehend von vorgefundenen Fotografien tragischer Ereignisse wie Kriegshandlungen und Explosionen von Autobomben, kombiniert mit alltäglichen Bildelementen wie malerische Landschaften und Wasseroberflächen stehen. Abgesehen von einem rein ästhetischen Interesse fühlt sich der Künstler zu den Katastrophenbildern auch deshalb hingezogen, weil sie Augenblicke verkörpern, die die Alltagsroutine aufbrechen und das gesellschaftliche Leben sprengen. Seine monumentalen Farbholzdrucke auf gewaltigen Papierbahnen faszinieren durch ihre ganz und gar radikale Formensprache und eine Ästhetik, die das Unbestimmte und Diffuse in den Mittelpunkt rückt.

Ausstellung

8. September 2023 - 20. Oktober 2023

Türkenstr. 32, 80333 München

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