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CORPOREALITIES
ALESSANDRO BOSTELMANN
WITALIJ FRESE

15.03.2024 - 26.04.2024

Das Individuum im weitreichenden Kosmos des Menschseins steht im Zentrum des künstlerischen Schaffens von Alessandro Bostelmann und Witalij Frese. Bostelmann beleuchtet in seinen manieristisch-surrealen Gemälden die Absurdität der menschlichen Existenz, gefangen zwischen gesellschaftlichen Zwängen und stereotypen Verhaltensmustern. Frese hingegen widmet sich in seinen Keramiken der Ergründung des körperlichen Daseins und dem damit einhergehenden Drang nach Veränderung. Beide Künstler befassen sich in ihren Arbeiten eingehend mit der Frage nach der physischen Realität und der daraus entwachsenden Suche nach Identität. In der Ausstellung Corporealities sind die Werke beider Künstler erstmals in einem spannungsgeladenen Dialog gegenübergestellt.

 

Nackte, überproportionierte, expressiv-grotesk verdrehte und ineinander verschlugene Körper, die oft zu einem fleischlichen Geflecht aus üppigen Brüsten, makellosen Gesäßpartien und unbehaarten Körperöffnungen und -zwischenräumen verschmelzen dominieren die Bildernarrative und die Formensprache Alessandro Bostelmanns (*1992, München). In übergroßen und und beengten Bildräumen arrangieren sich seine Figuren in Alltagsszenen mit ihrem lethargischen Dasein: sie reinigen apathisch Zimmerpflanzen, säubern Sofabezüge wie etwa in Room Cleaning Orgy (2024) oder surfen teilnahmslos, Zigaretten rauchend, auf ihrem Smartphone wie etwa in Dysfunctional Family (2024). Bei näherer Betrachtung entpuppen sich die physischen Annäherungen und Berührungen als Konsequenz der rauminduzierten Einschränkungen, da kaum eine der Figuren in der Lage ist, auszuweichen oder sich vollständig aufzurichten, ohne dabei den Bildraum zu sprengen. Der eigene Körper wird somit zum Hindernis in der inszenierten Welt des Künstlers, an dem sich Subjekt und Umfeld sprichwörtlich reiben. Die räumlichen Verengungen erscheinen unter diesem Aspekt als metaphorischer Verweis auf soziale Strukturen oder tradierte Gesellschaftsideale, die das Individuum einschränken. In seiner charakteristischen manieristischen Darstellungsweise zeigt Bostelmann den Menschen zudem als puppenhaftes, körperlich standardisiertes Subjekt in einer konstruierten Realität. Damit lenkt er den Blick auf die Widersprüche moderner Subjektivität – auf die Verschränkung von Denk- und Körpererfahrungen sowie von Körper und Identität. Der Körper erscheint in Bostelmanns Arbeiten mehr als Hülle, als Vehikel zur physischen Erfüllung oktroyierter heteronormativer Pflichten, die sich in den dargestellten stereotypen Handlungen manifestieren. Dabei erscheinen seine Figuren durchweg abwesend und stehen im Konflikt mit soziokulturell konditionierten Leitbildern bzw. codierten Antizipationen: Zu sehen sind Eltern, die kein Interesse für ihren Nachwuchs zeigen, Kinder, die sich nicht wie Kinder gerieren und vor den Augen der teilnahmslosen Eltern Zigaretten rauchen, Orgien, die statt in eine kalkulierte Grenzüberschreitung in ein Fest der Prüderie und Konformität ausarten. Körper und Selbst sind im Werk Bostelmanns nicht länger vereint, sondern gehören unterschiedlichen Realitäten an. Der Mensch verkörpert in dieser Hinsicht in seiner Kunst kein Ideal, sondern spiegelt vielmehr eine Gesellschaft wider, die von Empathieerosion und mechanistischer Entfremdung geprägt ist.

 

Witalij Frese (*1992 Alexandrowka, Russland) thematisiert in seinen Kunstwerken den menschlichen Körper als eine dynamische, von Mythen durchwobene Einheit, die sich ständig im Zustand der Exploration befindet. Seine keramischen, schwarz-weiß gefassten Arbeiten oszillieren zwischen Verwundbarkeit und schonungsloser Direktheit. In Freses künstlerischer Praxis wird die fortwährende Erkundung der körperlichen Existenz und das Streben nach ständiger Neuinterpretation des Selbst evident. Durch eine fokussierte Betrachtung einzelner Körperteile dekonstruiert und rekonfiguriert der Künstler den menschlichen Körper, um vielfältige emotionale Zustände zum Ausdruck zu bringen. Seine expliziten wie auch hybriden Körperdarstellungen, die in ihrer Formensprache die antike griechische und römische Keramikkunst aufgreifen, zeichnen sich durch eine gekonnte Verschmelzung von skulpturalen und dekorativen Elementen aus, die sowohl weibliche als auch männliche Geschlechtsmerkmale zusammenführen. So weicht er in seiner skulpturalen Brunnenkonstruktion Aufbau/Abbau (2024) die traditionelle Geschlechterordnung auf, ordnet das Männliche dem Weiblichen ebenbürtig gegenüber und vereint sie durch den Kreislauf der gemeinsamen Flüssigkeit, die sowohl die weiblichen als auch die männlichen Geschlechtsteile druchläuft. Die Darstellung von Geschlechtsorganen dient bei Frese als Ausgangspunkt für Themen wie Schamgefühl und die Überwindung veralteter Geschlechterstrukturen, die tief in traditionellen Rollenvorstellungen verwurzelt sind. Die Zuordnung zu spezifischen körperlichen Merkmalen spielt eine entscheidende Rolle für die Identitätsfindung und Selbstwahrnehmung des Einzelnen, insbesondere in Bezug auf das Bedürfnis nach körperlicher und sozialer Zugehörigkeit. Ein Körper, der sich fremd und dissonant anfühlt, führt zu Isolation und Unruhe. Trotzdem bietet die tradierte Sichtweise auf den nackten menschlichen Körper auch Chancen für eine Neukonzeption. Diese Auffassung verdeutlicht Frese im Werk Last auf der Brust (2024), einem lebensgroßen Torso, der als Selbstporträt des Künstlers fungiert und eine Brücke zwischen Geschlechtern und Generationen schlägt, ein Gegenentwurf zum traditionellen Ideal, wie es etwa durch den Torso vom Belvedere über die Jahrhunderte weitergetragen wurde. Die Figuren in Freses Schöpfungen, oft haarlos und in einer von der Realität losgelösten Form, bewegen sich zwischen Geschlechtslosigkeit und Hybridität. Sie interagieren oder verharren in einsamer Stille, losgelöst von ihrem körperlichen Kontext. Freses künstlerischer Rückgriff auf antike Gefäßformen und Stilisierungen greift dabei bewusst das Bildgedächtnis und die Symbolik der Antike auf. Dabei verbindet er mythologische Motive mit persönlichen Fragen zur Körperlichkeit und reflektiert so die vielschichtige historische Bedeutung des Körpers, der durch kulturelle, politische und religiöse Diskurse geprägt wurde.

Ausstellung

15. März 2024 - 26. April 2024

Türkenstr. 32, 80333 München

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