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ZEITZEUGEN

29.05. - 03.07.2020

Der Kontrast als eigenständiges wie wirkmächtiges Phänomen ästhetischer Anschauung bildet in den neuen Arbeiten von Sebastian Maas ein entscheidendes Moment. Neben formalen Aspekten geht es Maas dabei vor allem um einen ästhetisch geprägten Akt der Selbstvergewisserung, der in der Intensität unmittelbar erfahrbarer, innerer Kontraste zum Ausdruck kommt. Bezeichnend ist für den Künstler in diesem Zusammenhang der fortwährende Drang unsere Innenwelt immer besonders stark an neuen Impulsen abgleichen zu müssen. In einer hoch emotionalen Zeit wie dieser treten dabei extreme Kontraste hervor. […] Genau diese Kontraste wie auch deren hohe Intensität interessieren mich und ich halte sie für abbildungswürdig (Sebastian Maas, 2020).

Ursprung dieser Beobachtung ist eine durch das aktuelle Pandemie-Geschehen drastisch veränderte Lebensrealität, der Maas in seinen Werken mit einem präzisen, phänomenologisch geprägten Blick auf den Grund geht. Zwei Sphären des Alltags, die die globale Ausnahmesituation unmittelbar ins Bild rücken, standen dem Künstler hierfür Modell: Der Supermarkt als überreiche Viktualienkammer, niemals versiegendes Füllhorn und heiliger Tempel der „Konsumgesellschaft“ sowie die Medien als desavouierte Bildproduzenten, an deren Wirken sich die Frage der Wahrheit(en) entzündet.

 

Bereits im Sommer vergangenen Jahres begann sich Maas intensiv mit den in optisch standardisierten Supermärkten zum Tragen kommenden Wahrnehmungsphänomenen auseinanderzusetzen: angefangen beim Akt des Einkaufs, dem eine durch den Zufall bestimmte Komposition zu Grunde liegt, über die unbewusst arrangierten Stillleben auf den Kassenbändern, an denen gesellschaftliche Normen und Konventionen greifbar werden, bis hin zu einer massentauglichen, surreal anmutenden Waren- und Konsumästhetik, die in eine durch absolute Beliebigkeit gekennzeichnete Umgebung eingebettet ist – frei von jeglichem Individualismus und „echter“ Kultur. Es entstanden Arbeiten wie das raumgreifende, die Gattungsgrenzen überschreitende Werk Clean Cat (2020), dem sich der Betrachter kaum entziehen kann. Überdimensional vergrößert, der scharf abgegrenzten Konturen beraubt und die eigene Materialität vor Augen führend, kontrastiert Maas eben jene Mittel, die die Ästhetik der hierfür modellstehenden Produkte bedingen. Die ehemals (verkaufs-)stimulierende Wirkung zerfällt zu etwas beinahe Bedrohlichem, das sich aus der plötzlich übermächtigen Eigenwirkung von Farbe, Form und Material nährt.

 

Mit dem Ausbruch von SARS-CoV-2 und dem damit verbundenen historisch einmaligen „Shutdown“ des öffentlichen Lebens avancierte der Supermarkt zum vorläufig letzten spannungsgeladenen Begegnungsort. Irrationale Hamsterkäufe, leere Regale, überfüllte Einkaufswagen, offene Zweikämpfe in den Gängen und an den Kassen – versorgungs-, aber auch gesundheitspolitische Fragen traten an diesem Ort in signifikanter Weise zu Tage. Gleichzeitig sorgte der mediale Äther mit ersten, beklemmenden Bildern aus italienischen Intensivstationen und Bestattungshäusern dafür, dass das für das menschliche Auge unsichtbare Virus eine unmittelbare Präsenz erhielt. In Maas’ ikonischem Werk Seite 12 (2020) kommt der Schlüsselmoment dieser Erfahrung in beispielloser Weise zum Ausdruck. Mit erschreckender Präzision und über das Mittel der Collage arrangiert der Künstler darin die befremdlichen Kontraste, die für ihn beispielhaft das Gewahrwerden jener neuen Bedrohungssituation wesentlich bestimmten. Seine Arbeiten legen damit auf unmittelbare und authentische Weise Rechenschaft ab – über eine allgegenwärtige Verunsicherung samt den Lähmungserscheinungen, die diesen Augenblick der jüngeren Geschichte entscheidend prägen. Sie sind Zeitzeugen, die zwischen einer nüchternen Dokumentation des Pandemiegeschehens und den Würgereizen einer übersättigten Surplus-Hochkonsumgesellschaft oszillieren, die im fortwährenden Mantra ihrer eigenen Verzweiflung das selbst Erbrochene gebetsmühlenartig in sich hineinzustopfen versucht.

Sebastian Maas (geb. 1984 in Aachen) lebt und arbeitet in München und Berlin. Nach Abschluss seines Studiums der Biologie und Neurowissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität München studierte Maas Malerei und Grafik bei Prof. Karin Kneffel an der Akademie der Bildenden Künste in München. 2020 schloss er mit dem Diplom ab und wurde bereits im Jahr zuvor von Karin Kneffel zum Meisterschüler ernannt. Neben zahlreichen Ausstellungen in verschiedenen Galerien stellte er 2017 unter anderem im Rahmen der Gruppenausstellung „Boxenstopp“ der Staatlichen Graphischen Sammlung München in der Pinakothek der Moderne.

Ausstellung

29. Mai - 3. Juli 2020

Türkenstr. 32, 80333 München

Mit tatkräftiger Unterstützung von

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