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MARTIN WERTHMANN

DIE KATASTROPHE ALS RAUM

04.12.2020 - 30.04.2021

»In der Katastrophe liegt ein Moment der Wahrheit.« (Martin Werthmann) 

 

Die Galerie HELDENREIZER Contemporary präsentiert vom 4. Dezember 2020 bis zum 30. April 2021 Martin Werthmanns monumentale Holzschnittinstallation Die Katastrophe als Raum. Diese richtungsweisende Arbeit basiert auf dem größten jemals geschaffenen Holzschnitt und ist das einzige begehbare Kunstwerk dieser Art. Parallel zur Installation erscheint Anfang 2021 im Hirmer Verlag in Zusammenarbeit mit der Prinzessin Kira von Preußen Stiftung und der Wilding Cran Gallery in Los Angeles die erste umfassende Monografie über Martin Werthmann.

 

Wer in den monumentalen, 165 Quadratmeter großen Holzschnitt hineintritt, wird nicht nur von einem gewaltigen Farbensturm aus gleißendem Karminrot, tiefdunklem Schwarzblau, brennendem Orange, hell leuchtendem Gelb, schimmerndem Ultramarin, flächigem Weiß, Türkis und Schwarz überwältigt, sondern den ereilt zugleich auch der Eindruck zu schweben – zu schweben in einem flimmernden Welt(en)raum aus sphärenhaft organisierten Farbfeldern und -schichten, deren Aggregatszustände sich fortwährend zu ändern scheinen. Lavaartige Farbströme durchziehen den Raum ebenso wie feinste, nebelartige Farbwolken. Farbmassen verflüssigen sich, um an anderer Stelle wieder zu fester Materie zu erstarren, die darüber hinaus über eine eigene, nicht nur visuell ertastbare Tektonik verfügt. Durchdrungen wird das Ganze von amorph anmutenden Strukturen und fast ornamentalen Formen, deren, oft gebrochene, Wiederholung den ansonsten durch eine orgiastische Dynamik geprägten Raum in die Tiefe hinein rhythmisiert. Hinzu kommen immer wieder auftretende Spiegelungen, die einen nicht näher fassbaren Eindruck von Unendlichkeit evozieren. Akustisch wird der gewaltige wie überwältigende optische Gesamteindruck durch eine bedrohlich anmutende Geräuschkulisse aus immer wiederkehrenden, geradezu menetekelhaft aufheulenden Winden verstärkt, die von einem dunklen, rapide anschwellenden Donnergrollen durchbrochen werden, das letztlich in einem gewaltigen Explosionsgeräusch mündet. Darüber hinaus finden sich – subtil eingewoben in die komplexe Szenerie aus Farbfeldern, -strukturen und -formen – in der Installation Kriegsbilder oder Szenen terroristischer Anschläge der jüngsten Zeit. Kaum visuell greifbar, geht von diesen Bildern, die bis zur Unkenntlichkeit überlagert sind, dennoch eine nicht näher bestimmbare Bedrohlichkeit aus.

 

Tatsächlich hat Werthmann die Katastrophe als Verbindungsstelle von Schönheit und Gewalt ausgemacht. »In der Katastrophe liegt ein Moment der Wahrheit«, so der Künstler, »und zwischen Schönheit und Gewalt herrscht Dissonanz. Es geht nur um Leben und Tod – alles andere spielt in diesem winzigen Augenblick keine Rolle.«

 

Seine künstlerische Herangehensweise und die Verwendung tagesaktueller Bildwelten (wie auch sein nuanciertes Spiel mit historischen Verweisen – die Klangkulisse der Installation basiert auf einer Aufnahme der explodierenden AN602-Wasserstoffbombe, der stärksten, je von Menschen verursachten Explosion) verankern Werthmanns Schaffen fest in der Gegenwart. Wie er selbst einmal kommentierte: »Ich schaffe meine Kunst nicht nach der Kunst anderer, sondern tatsächlich nach dem gegenwärtigen bildlichen Narrativ … man muss sich mit der Welt einlassen, um Kunst zu schaffen.«

 

Trotz dieses dezidierten Gegenwartsbezugs sind im monumentalen Charakter der Arbeiten von Martin Werthmann starke kunsthistorische Anklänge auszumachen. In seinem Beitrag in der in Kürze erscheinenden Monografie zu Martin Werthmann erläutert Sir Norman Rosenthal die Parallelen zwischen den monotypischen Holzschnitten von Werthmann und jenen von Künstlern wie Albrecht Dürer und Tizian. Dennoch handelt es sich bei dieser Installation, die Decke, Boden und Wände der Galerie vollständig ausfüllt, wohl um den bislang größten je gefertigten Holzschnitt. Diese Technik zur Schaffung eines begehbaren Raumkunstwerks zu nutzen, ist bislang beispiellos. Das Ergebnis ist ein sowohl visuell als auch haptisch einmaliges Erlebnis, denn die Besucher werden ermutigt – vielmehr noch dazu gezwungen – das Werk beim Betreten auch zu berühren.

 

Martin Werthmann (geboren 1982, in Berlin tätig) zählt zu den profiliertesten Künstlern seiner Generation, die sich der Gattung des Holzdrucks verschrieben haben. Zwischen 2004 und 2009 war er an der Kunsthochschule Hamburg Schüler in der Klasse von Andreas Slominski. Er hat außerdem bei Wim Wenders, Fatih Akin und Daniel Richter studiert. Oberflächlich besehen, sind Werthmanns Arbeiten eine ästhetisch anspruchsvolle Serie von Mustern und Strukturen. Doch bei genauerer Betrachtung lassen die Bilder unterhalb der Oberfläche eine gewisse Spannung und feine Melancholie spüren. Die Motive und Muster seiner Drucke entstehen ausgehend von vorgefundenen Fotografien tragischer Ereignisse wie Kriegshandlungen und Explosionen von Autobomben, kombiniert mit alltäglichen Bildelementen wie malerische Landschaften und Wasseroberflächen stehen. Abgesehen von einem rein ästhetischen Interesse fühlt sich der Künstler zu den Katastrophenbildern auch deshalb hingezogen, weil sie Augenblicke verkörpern, die die Alltagsroutine aufbrechen und das gesellschaftliche Leben sprengen. Seine monumentalen Farbholzdrucke auf gewaltigen Papierbahnen faszinieren durch ihre ganz und gar radikale Formensprache und eine Ästhetik, die das Unbestimmte und Diffuse in den Mittelpunkt rückt.

Ausstellung

4. Dezember 2020 - 30. April 2021

Türkenstr. 32, 80333 München

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Publikation

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