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KRIŠTOF KINTERA
MARTIN WERTHMANN
CRITICAL MASS

17.10. 2025 - 15.11.2025

Die Ausstellung Critical Mass bringt erstmals das Werk des tschechischen Künstlers Krištof Kintera und des Berliner Künstlers Martin Werthmann in einen dialogischen Zusammenhang. Im Zentrum der Gegenüberstellung steht die kritische Auseinandersetzung beider Positionen mit gesellschaftlichen und existenziellen Fragestellungen – insbesondere mit den Spannungsfeldern zwischen Kontrolle und Chaos, Technologie und Umwelt, Erinnerung und dem Zerfall bestehender Ordnungen. Beide Künstler schaffen installative, oftmals reaktive Werke, die durch den experimentellen Einsatz ungewöhnlicher Materialien und Medien geprägt sind. Sie eröffnen Erfahrungsräume, in denen Betrachterinnen und Betrachter mit den Unsicherheiten der Gegenwart konfrontiert werden und gewohnte Wahrnehmungsmuster hinterfragen.

 

Krištof Kintera (*1973, Prag) zählt zu den prägendsten Stimmen der zeitgenössischen tschechischen Kunst. Sein Œuvre – bestehend aus Skulpturen, Installationen und Assemblagen – beruht auf der Transformation alltäglicher Materialien und Objekte. Durch ihre Neukombination legt Kintera verborgene Bedeutungen und Bezüge frei, die auf ironisch-humorvolle und zugleich poetisch-reflektierte Weise auf gesellschaftliche Realitäten reagieren. Seine Arbeiten thematisieren die Widersprüche einer hyperkapitalistischen Weltordnung ebenso wie deren ökologische und soziale Konsequenzen.

 

Ein zentrales Werk der Ausstellung ist die monumentale Betonskulptur Heavy Head Boy (2024), eine maßstabsgetreue Replik der vier Meter hohen Skulptur, die Kintera für den Neubau der Dvorecký-Brücke über die Moldau in Prag geschaffen hat und die 2026 dort installiert wird. Die Figur eines sitzenden Jungen mit überproportioniertem Kopf erinnert in ihrer Haltung an Auguste Rodins Der Denker (1902), doch während Rodins Gestalt in konzentrierter Selbstreflexion verharrt, wirkt Kinteras Figur von der Schwere des Denkens geradezu niedergedrückt. Heavy Head Boy thematisiert die mentale Last und die ethische Verantwortung des modernen Menschen – der übergroße Kopf fungiert als Metapher für intellektuelle Überforderung in einer von Komplexität bestimmten Welt. Der Sichtbeton verweist auf die rohe Materialität des Brutalismus, während die facettierte, geometrische Formensprache auf den Rondokubismus anspielt – eine spezifisch tschechoslowakische Variante des Kubismus, die sich nach dem Ersten Weltkrieg kurzzeitig zum nationalen Stil erhob.

 

Neben dieser Skulptur präsentiert die Ausstellung Kinteras charakteristische 3D-Zeichnungen. Diese reliefartigen Objekte entstehen durch das spontane Montieren verschiedenster Materialien – Schrottteile, Kabel, Objet trouvés – auf Sperrholzplatten. Trotz ihrer plastischen Erscheinung begreift Kintera sie als Zeichnungen, da ihr Entstehungsprozess unmittelbar, gestisch und intuitiv ist. Sie verhandeln Fragen von Konsum, Umwelt und technologischem Fortschritt und sind geprägt von schwarzem Humor und einer präzisen Beobachtung gegenwärtiger Widersprüche.

 

Eine besondere Werkgruppe innerhalb dieser Serie bilden die sogenannten „elektrischen Pflanzen.“ Mit einem Lichtenberg-Generator leitet Kintera Strom durch Papier oder andere Trägermaterialien und erzeugt so fein verästelte Strukturen, die an natürliche Wachstumsprozesse erinnern. Diese durch elektrische Entladungen entstandenen Formen verkörpern eine ambivalente Energie – schöpferisch und zerstörerisch zugleich. Die Arbeiten stehen sinnbildlich für Kinteras künstlerisches Leitmotiv: die Durchdringung von Natur und Technologie sowie die poetische Reflexion über Schöpfung, Energie und Transformation.

 

Mit seinen großformatigen Holzschnitten entwickelt Martin Werthmann (*1982, Gießen) immersive Bildräume, in denen sich Schönheit und Gewalt, Ordnung und Chaos, Figuration und Abstraktion durchdringen. Seine Werke entfalten eine visuelle Sogwirkung, in der sich die Betrachtenden in vibrierende Farb- und Lichtfelder hineinbegeben. Durch die Überlagerung transparenter Farbschichten und diaphaner Strukturen hebt Werthmann die Grenzen zwischen Oberfläche und Raum, zwischen Motiv und Materialität auf.

 

Die Bildmotive speisen sich häufig aus dokumentarischen Fotografien – Aufnahmen von Kriegs- und Katastrophenschauplätzen wie Aleppo, Beirut oder Tianjin. Diese medial vermittelten Zeugnisse menschlicher Zerstörung transformiert Werthmann durch ein vielschichtiges Druckverfahren, in dem sich die ursprünglichen Szenen mit Naturmotiven verbinden. Was bleibt, sind fragmentarische Spuren, die weniger den Ort des Geschehens als vielmehr den Raum der Erinnerung bezeichnen. Werthmanns Werke vermeiden jede mimetische Darstellung von Gewalt; vielmehr geht es ihm um eine ästhetische Übersetzung traumatischer Erfahrungen in visuelle Resonanzräume, die emotionale und kontemplative Zugänge ermöglichen. In seiner jüngsten Werkgruppe erweitert Werthmann dieses Konzept des „gebrochenen Raumes“: Zwischen Figuration und Auflösung oszillierend, öffnen die Arbeiten neue Ebenen des Sehens und verhandeln das Verhältnis von Wahrnehmung, Erinnerung und Realität. Sie reflektieren eine Welt, in der tradierte Gewissheiten – gesellschaftlich, politisch wie individuell – zunehmend erodieren und neue Formen der Orientierung gesucht werden.

 

Sowohl Kintera als auch Werthmann nehmen die Ambivalenz zeitgenössischer Bedrohungsszenarien als Ausgangspunkt ihrer künstlerischen Praxis. Während Werthmann die Ästhetik des Katastrophischen nutzt, um die visuelle und moralische Dimension menschlicher Erfahrung zu befragen, arbeitet Kintera mit Ironie, technischer Transformation und materialer Übersteigerung, um gesellschaftliche Paradoxien offenzulegen. Beiden gemeinsam ist das Interesse an Grenzüberschreitungen – zwischen Schönheit und Zerstörung, Kontrolle und Kontrollverlust, Empathie und Distanz. Ihre Werke laden zu einer tiefgehenden Reflexion über die fragile Balance zwischen Erkenntnis und Überforderung ein und eröffnen Räume, in denen das Verhältnis von Mensch, Technologie und Umwelt neu verhandelt wird.

Ausstellung

17. Oktober - 15. November 2025

Türkenstr. 32, 80333 München

© 2025 by HELDENREIZER Contemporary GmbH, München . Impressum

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